Der Irrglaube, Weisse hätten keinen Soul, ist noch immer weit
verbreitet. In der westlichen Welt kommt man mit Herzensgüte und
Ehrlichkeit ja auch nicht besonders weit. Klingt wohl zynisch und mag
eine Fehleinschätzung meinerseits sein, aber Gegenbeweise mit
vernüftiger Halbwertszeit sind mir bis dato keine unter gekommen. Nun
gut, der Beweis, dass nicht bloss Schwarze Soul haben (und ich meine
nicht soulige Popmukke oder moderner R&B, ich rede vom Phänomen, das
in der zweiten Hälfte der 50er mit Ray Charles, Sam Cooke und James
Brown begann und gut zwanzig Jahre später mit Al Green endete), wurde ja
auch noch nicht allzu häufig angetreten. Dusty Springfield, Amy Winehouse, Joss Stone, Eli
Paperboy Reed, Nick Waterhouse, Mayer Hawthrone, Alice Russell und Ben L'Oncle Soul kommen mir spontan in den Sinn (es wird natürlich kein Anspruch auf
Vollständigkeit der Aufzählung erhoben). Wenn's dann noch eine andere
Sprache als Englisch sein soll, wird's richtig schwierig. Unser grosser
Bruder im Norden hat gerade mal Jan Delay und Flo Mega hervorgebracht.
Gewisse Berührungsängste scheinen eben doch da zu sein. Das betrifft
nicht bloss die Hautfarbe, sondern auch die Zeit. Man kann die Zeit ja
schliesslich nicht mehr zurück drehen, auch wenn man sich das manchmal
wünschte.
Hier bei uns in der Schweiz ist Soul sowieso noch nicht
angekommen. Das Misstrauen dürfte zu gross und der Markt zu klein sein.
Und jetzt das! Plötzlich hat die Schweiz ihr erstes Soulalbum. Quasi aus
dem Nichts. Dem Sascha Rossier gefällt's. Min King stehen mit ihrem Debüt "Am Bluemeweg"
momentan auf Rang vier der iTunes R&B/Soul Downloadcharts.
Zwischen Earth, Wind & Fire und Whitney Houston. Dabei ist das erste
Soul-Album auf Schwiizerdütsch beinahe sowas wie ein Betriebsunfall,
zumal ja Plenty Enuff 2010 schon mit einem neuen Album in den
Startlöchern standen. Nicht mehr im Geiste von Kingston Town, sondern in
jenem vom Südwesten der Vereinigten Staaten der 60er Jahre (der Schritt
von Rocksteady zu Soul ist nicht so gross, wie manche vielleicht
denken). Die Texte wie sich's gehört in Englisch.
Nun ist fast alles
anders gekommen. Plenty Enuff sind Geschichte. Aus dem harten Kern der
Truppe (Gebrüder Albrecht und Dave Aro) ist Min King hervorgegangen. Die
Texte sind nun nicht mehr in Englisch, sondern in Mundart. Den Spirit des
Südwestens der Staaten haben Min King in ihren Proberaum an den
Blumenweg geholt. Resultat ist besagstes Debütalbum. Mundartsoul!? Da
haben Min King doch tatsächlich ein neues Genre aus dem Boden gestampft!
Haben sie das? Nööö, haben sie nicht. Wir reden hier von Soul. Soul hat
eben herzlich wenig mit Sprache zu tun, sondern vielmehr mit Ausdruck,
mit Inbrunst und Groove. Yep, Min King spielen Soul. Schon die ersten
Takte des Albumopeners "Froh Bisch Da" lassen keine Zweifel offen.
Einfach nur so dasitzen, funktioniert nicht. Da wird man dubedänzig. Zu
innig und überwältigend vereinnahmend sind die Grooves vom Bluemeweg.
Min King haben die klassische Besetzung einer Soulband aus den 60ern.
Drums (René Albrecht), Bass (Marc Zimmermann) und Gitarre (Boris
Aebischer) für den Groove. Orgel (Dave Aro) und Bläser (Roger Greipl am
Saxophon und Philipp Labhart an der Trompete) für Melodien und Call and
Response, das soultypische von Gospel und Worksongs inspirierte Hin und Her zwischen Bläsersatz und Stimme (Philipp Albrecht). Eben diese Stimme mag wohl der stärkste Trumpf der Truppe sein. Philipp singt nicht einfach, er liebt und leidet,
schreit und flüstert, wechselt von Brust- zu Kopfstimme und wieder
zurück und liefert so neben den Texten auch die Inhalte, die zwischen den
Zeilen stehen mit. Nun ist es aber so, dass man nicht mit dem stäksten Trumpf, sondern mit dem stäksten Blatt das Spiel gewinnt.
Min King gewinnen das Spiel. Und das nicht, weil sie ein neues Genre
erschaffen hätten, was sie nicht haben, sondern weil sie die Menschen
ihre Spielfreude spüren lassen, wenn sie ihre Grooves auf die Bühnen und
in die Wohnzimmer tragen. Das ist Soul. Deshalb steht die Scheibe in meinem Plattenregal dort, wo auch Otis Redding, Al Green und James Brown ihren Platz haben.
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